Meter Mütze privat
Meter Mütze privat – Der Podcast
Ich werde mich nicht verhärten lassen
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Ich werde mich nicht verhärten lassen

Wie ein Elternvertreter-Posten, eine Kackwurst und ein roter Sitzball mein Leben verändert haben

Das neue Jahr ist schon ein paar Tage alt, aber ich kann euch sagen: Für die Rosen war es schon ein gutes Jahr. Der Rest des Jahres ist für sie geschenkte Zeit und jetzt wissen sie gar nicht, was sie damit anfangen sollen. Ich habe ihnen gesagt, sie sollen für mich träumen. Denn ich träume für euch.

Dafür gehe ich früh ins Bett. Denn wenn ich ins Bett gehe, dann geht nicht einfach irgendein Tüp ins Bett. Dann geht zweifach wiedergewählter KITA-Elternvertreter Meter Mütze ins Bett, um ein wohlverdientes Nickerchen zu machen. Und dabei träume ich nicht irgendeinen ollen Traum. Ich träume davon, dreifach wiedergewählter KITA-Elternvertreter Meter Mütze zu sein. Denn dann - dann bin ich genug. Es wäre endlich wahr. Und ich könnte dieses zermürbende Streben aufgeben, das mich letztendlich doch nicht erfüllen wird.

In meiner Aufgabe als zweifach wiedergewählter KITA-Elternvertreter sprach mich vor einiger Zeit eine Mutter an. Wenn sie am frühen Morgen ihre Kinder in die KITA bringt, durch die kleine Gasse am Außengelände vorbei, erzählte sie, dann wäre das erste, was sie und ihre Kinder vor der KITA sehen, wie eine Kackwurst aus dem Hintern eines Wohnungslosen auf den Gehweg fällt. Das kann nicht sein und darum sollten sich die Elternvertreter bitte kümmern. Es ging ihr dabei nicht um die Wohnungslosigkeit, sondern um die Kackwurst. Darum, dass ihre Kinder diese Kackwurst sehen, wie sie aus dem Hintern kommt.

Ich sagte ihr, dass die meisten Menschen sehr regelmäßig Stuhlgang hätten und sie ihre Kinder einfach 10 Minuten früher zur KITA bringen sollte. Regelmäßiger, fester Stuhlgang ist das Zeichen eines gesunden Mikrobioms. Und sofern der oder die Wohnungslose nicht auf dem KITA-Gelände defäkiert, können wir den Vorgang nicht unterbinden. Ich bat sie jedoch, eine Skizze der Sichtbeziehungen anzufertigen und in das Fach meiner Tochter zu legen, um diese mit den Elternvertretern zu besprechen.

Am selben Abend, beim Flow-Yoga im Shavasana, musste ich an den Hintern und die Wurst denken. Am Ende des Tages, so dachte ich, lasse ich mich nun selbst auf die Matte fallen wie die Wurst auf den Gehweg. Alles aus mir herausgepresst, alles gegeben und wie der Tag so langsam am Ende.

KITA-Elternvertreter zu sein, ist ein verlorener Posten.

Nach Schlafen, Arbeit, Kinderbetreuung und Liebe haben wir keine Zeit mehr, uns zu treffen. Messenger-Nachrichten bleiben unbeantwortet. Spontane Austritte und Wegzüge nach Schleswig-Holstein und Niedersachsen dezimieren uns zusätzlich, während weitere gewählte Mitglieder nie wieder kontaktiert werden möchten. Andere wiederum verschlampen Passwörter und damit den Zugang zur Elternvertreter-Datenbank und sind dann nach langen Emails einfach weg. Man sieht sie nur noch auf dem Lastenrad durchs Viertel düsen.

Nur Caro, Olaf, Nils und ich sind noch übrig. Nils hat den schwarzen Gürtel in Taekwondo, Caro teilt sich ein Sorgerecht und Olaf ist St. Pauli-Fan. Aber nicht Fussball, sondern Schach.

Das Treffen mit dem Agendapunkt "Kackwurst" findet an einem Dienstag um 19 Uhr in “Mickys schmales Handtuch” am Marktplatz statt. Nils bringt dazu einen roten Sitzball mit. Anstandslos entfernt die Bedienung einen Stuhl vom Tisch, Nils setzt sich und wir stellen die Beschlussfähigkeit fest.

Erster Tagesordnungspunkt ist Caros Vorschlag, eine überlebensgroße Blockflöte für die musikalische Früherziehung zu finanzieren. Jedes Flötenloch wird von einem Kind mit den Händen zugehalten, während die Erzieher oben blasen. Caro kennt diese Flöten von einem Teambuilding-Tag. Zusammen mit ihren Kolleginnen verbrachte sie einen Vormittag damit, den übergroßen Flötenkopf in der Mitte ihrer Körper auf 37 Grad aufzuwärmen und dann “We are the Champions” einzuüben.

“Es hört sich komisch an, hat aber richtig Spaß gemacht!”

In der daraus entstandenen Teams-Chatgruppe laufen die Planungen für einen Auftritt auf der Weihnachtsfeier. Für die Blockflöte der KITA sollte der Förderverein das Geld bereitstellen, leider wurde ihm kurz zuvor die Gemeinnützigkeit aberkannt. Wir beschließen eine Spendendose aufzustellen.

Schließlich kommt der Agendapunkt "Kackwurst". Ich lege die Skizze der Sichtbeziehungen auf den Tisch.

Lange schauen und grübeln wir, zeichnen weitere Linien ein. Schließlich einigen wir uns darauf, das Thema an die Bezirksversammlung weiterzuleiten. Es fehlt schlichtweg an öffentlichen Toiletten.

Als mir kurz darauf die Omega 7-Softgelkapsel hochkommt, entschuldige ich mich. Ich muss noch in den Rotary Club, sage ich, armen Menschen helfen. Dort würde es heute um Freilufthallen für die Hockeyvereine in Hamburg-Mitte gehen. Das letzte Treffen hatte ich schon wegen beruflicher Zwänge auf Sylt verpasst. Das stimmte zwar alles nicht, aber anders als Friedrich Merz kann ich das Gegenteil tun, von dem, was ich sage, und Nils hatte schließlich auch seinen roten Sitzball mitgebracht und mich im Laufe der Sitzung immer weiter mit seinem dynamischen Sitzen provoziert. Ich war die ganze Zeit kurz davor, ihn mit meinen nonviolent communication skills gefügig zu machen, und konnte es mir schließlich nicht verkneifen, im Protokoll hinter seinem Namen stets „mit dem roten Sitzball“ zu vermerken.

Nils mit dem roten Sitzball schlägt vor

Nils mit dem roten Sitzball wendet ein

Nils mit dem roten Sitzball berichtet

Nils mit dem roten Sitzball findet eine Kackwurst auf dem Gehweg

Zum Einschlafen höre ich an dem Abend einen Podcast über Kefir-Fermentation und beschließe, mich von den Umständen nicht verhärten zu lassen. Kefirkulturen, eine symbiotische Gemeinschaft aus Milchsäurebakterien und Hefen, die aussieht wie Blumenkohl, verwandelt Kuhmilch in etwas cremiges, geschmeidiges, probiotisches. Ich werde mich nicht wieder zur Wahl als Elternvertreter aufstellen lassen, und ich werde mich nicht verhärten lassen. Ich werde mit dem Lastenrad durchs Viertel düsen und der netteste Fahrradfahrer Hamburgs werden.

Peace, Love & Unity,

Meter

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