Meter Mütze privat
Meter Mütze privat
diesmal mit Gong Meditation
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diesmal mit Gong Meditation

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Ich habe mich in einem Fitnessclub angemeldet. Nach Jahren des abendlichen Kinder-zu-Bett-Bringens ist nun ein organisatorischer Durchbruch gelungen. Beide Kinder werden zusammen von einem Elternteil ins Bett gebracht, das verbleibende Elternteil hat Freizeit.

Die ersten Male stand ich desorientiert im Wohnzimmer. Was tun? Was nicht tun? Wer bin ich? Nur 1 Affe im Außengehege? Andere Väter führen ihre Hobbies weiter, die sie zuletzt ausgeübt haben, als sie 15 waren. Sie gehen skaten oder spielen Fußball oder Counterstrike. Aber Fußball ist mit der WM in Katar für immer vorbei und Counterstrike läuft mit 16 Mbit einfach zu schlecht. In meiner Alterskohorte entfalten die virtuellen Blendgranaten längst reale Wirkung. Wer freut sich zur Zeit in der Notaufnahme auf einen revitalisierten End-Dreißiger mit posttraumatischer Counterstrike-Belastungsstörung, selbst wenn dieser im April 2020 ostentativ am offenen Fenster geklatscht hat?

Ok, das war ein langer Satz. Vielleicht zu lang für eine Email im Posteingang eines schmutzigen iPhone 11. Hab ich schon mal erzählt, dass ich Linguist bin? Sogar Syntaktiker. Ja, wirklich wahr.

In einen Fitnessclub einzutreten, heißt, gegen den Fitnessclub anzutreten. Der Fitnessclub setzt darauf, dass ich nicht komme. Dass mein Elan versiegt, dass ich mich hängen lasse. Doch meine Geheimwaffen sind Geduld und Ausdauer. Ich bin wie die Zimmerpflanze. Immer da. Manchmal zu spät, aber immer da. Manchmal hängen die Blätter, ab ich bin da. Doch ich bin kein Pumper. Gerätetraining lehne ich ab. Ein mechanisches Weltbild, jedoch, there's a crack in everything - that's how the light gets in. Yoga hielt ich für eine bessere Idee. Wie die anderen Frauen im Kurs auch. Mit einem schwarzen Schweißband lasse ich mich in die 3 Minuten-Dehnung hineinschmelzen. Du sollst nicht denken, du sollst dehnen. Dabei fühlte ich mich wie ein hochkant aufgestellter Sack Schrauben. Bis die fehlende Impfung des Yoga-Lehrers mich von diesem Kurs trennte (menschlich aber ganz toll!). Es blieben nur die Kurse von Säuselkarin, die offensichtlich einzige, ich schreibe sogar einzigste, geimpfte Yogalehrerin der Stadt, die schlimm ins Mikrofon säuselte (menschlich aber ganz toll!).

So kam ich an einem Samstagabend zur Gong Meditation. Zwei Kühlschrank-große Gongs empfingen mich in Kursraum 3. Vor den Gongs, in einem Schlafsack, lag ein kleiner, lockiger junger Mann, die Augen geschlossen. Frodo - mein erster Gedanke, Frodo ist tot, aber nein. Erwartungsvoll nahm ich auf meiner Yoga-Matte Platz. Aus einem Nebenraum betrat eine zart-gliedrige Frau den Raum. Eine Hose und ein Langarm-Shirt gefüllt mit Feldsalat. Sie sprach von negativen Gefühlen und empty your head und wenn es sich komisch anfühlt, dann seien dies die negativen Spannungen, die sich lösten. Ich legte mich hin und schloss die Augen, durch diese Ansage etwas irritiert. Dann begann sie die Gongs zu bedienen. Dissonanzen, sie spielte ausschließlich Dissonanzen! Nach 30 Sekunden wusste ich: Schwester, ich bin raus, das geht ja mal gar nicht! Die folgende Nacht schlief ich schlecht, mein linker Ellenbogen hatte sich während der Gong-Meditation irgendwie verdreht.

Als nächstes versuchte ich Deepwork. Der Beschreibungstext war vom selben Autor verfasst worden, der auch die Finanzamtbriefe verfasste. Es blieb viel unklar und klang grundsätzlich anstrengend, aber was konnte schon schief gehen, solange keine Gongs gespielt wurden? Der Tag kam und auch in diesem Kurs: Ich mit Schweißband und wir Frauen unter uns. Es begann ganz unschuldig in der Kindsposition, die Nadine, unsere Trainerin, Child's position nannte. Sie hatte wohl mal Englisch gelernt, hello, how are you? Dann auf einmal schlimme Elektromusik, als würde sich ein Baumarkt durch mich hindurch schieben. Rotes Licht, Nadine klatschte in die Hände, es galt Kombinationen aus Liegestützen, Schlittschuhlaufen und Geburtsvorbereitungskursen nachzuahmen. Ich fühlte mich wie ein notlandender Bundeswehr-Hubschrauber. Unkoordiniert, kaputt, überall blinkende Warnlampen. Zuerst verabschiedete sich meine rechte Wade, fast musste ich mich etwas in den Mundraum übergeben, mein Herzkreislaufsystem blubberte wie eine auf Stufe 9 kochende Linsensuppe. Nach der ersten halben Stunde hatte ich meine Mittagsmahlzeit in einem verdaut.

Die Woche darauf kam ich zu spät und wurde von Nadine auf die harte Tür ihrer Kurse hingewiesen. Auch das noch: Pünktlich sein, mein wunder Punkt. Dieser Kurs, so dachte ich, war the heart of the Fitnessstudio. An diesem Kurs würde sich mein Fitnesserfolg entscheiden. Deep work oder nix.

Wiederum eine Woche später, ich hatte es pünktlich geschafft, wurde eine andere Teilnehmerin, die drei Minuten zu spät kam, prompt abgewiesen. Zu mir gewandt sprach Nadine, so dass es alle hören konnten: Du kennst das Meter. Ich nickte grinsend. Ich war nun ein Deepworker.

Die Woche endete mit Tai Chi am Sonntag und einer 1-stündigen Stehmeditation. Tai Chi ist wie Linguistik zum Gehen, inklusive Satzzeichen. Die dritte Konstruktion in der Linguistik kommt immer mit einem Komma. Das liegt am zu-Infinitiv.

Most people ignore poetry because poetry ignores most people

It wer mor like I wer behynt the back clof in a show. Thats how it wer. Thru the clof I cud see the other figgers moving I cud see the peopl watching only no 1 cud see me. If I wer a figger in a show what hand wer moving me then? I cudnt be bothert to think on that right then. Theres all ways some thingwl be moving you if it aint 1 thing its a nother you cant help that.

Riddley Walker, Russel Hoban

Schön, dass du dir die Zeit genommen hast, auch diesen Newsletter zu lesen. Diese Texte sind ein wenig wie Landwirtschaft. Stark vom Wetter abhängig. Manchmal geht’s gut, manchmal weniger. Aber immer, wenn ich vergangene Newsletter durchstöbere, ist einer dabei, der mich ganz neu packt und der mir zeigt, wie schön manchmal alles zusammen passen kann.

Ich wünsche dir ein schönes Weihnachtsfest. Bis im neuen Jahr.

Meter

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